Donnerstag, 25. Oktober 2012

Mehr Frauen in Führungspositionen

Ein Epilog
Seit meinem letzten Blogpost hier sind sieben Monate vergangen. Eine lange Zeit in Anbetracht der kühnen Ansage aus dem letzten Abschnitt des letzten Blogposts.
Was ist denn da passiert? Wieso ist es so still geworden um die einst so kraftvolle, zur stellvertretenden Vorsitzenden der Piratenpartei Deutschland Berlin gewählte Frau?
Eine Frage, die in mir schon lange gärt. Ich will sie endlich beantworten, mir selbst und allen, für die meine Schilderung ein Erkenntnisgewinn in Sachen genderdings bedeuten könnte. Wie zu erwarten ist, wird dies eine subjektive, will sagen sehr persönliche, Geschichte. Nichts anderes kann ich anbieten. Wer nachvollziehen möchte, was ich als Mensch und Frau im Amt der Vorstandsvorsitzenden erlebt habe, kann das nur mit meiner individuell erlebten Geschichte. Wen das stört, der klicke sich jetzt einfach wieder raus aus diesem Blog.

Kurzrückblick bis zu dem Zeitpunkt, in den ich hier einsteigen werde:
- Wahl zur Stellvertreterin - Konstitution Vorstand - Arbeitsbeginn - hase Pressewirbel - Krisensitzungen - hase Pressewirbel - Krisensitzungen - Wahlkampf SH.

Nun, das erklärt nicht, warum ich so stille wurde? Nein, tut es nicht. Also versuch ich es mit einer kleinen Rückschau meiner emotionalen Lage:

- überwältigt - aktiv - forsch - unglücklich - verantwortungsvoll - hilflos - verantwortlich - mutig.

Das erklärt es auch nicht? Nein, wie könnte es auch. 

Deshalb knüpfe nun an an die Geschehnisse, die sich während der Wahlkampfunterstützung in Schleswig-Holstein ereigneten.

Es war einmal
Nach dem Bundesparteitag in Neumünster war ich dageblieben, um die schleswig-holsteinischen Piraten in der letzten wichtigen Woche vor der Wahl am 06.05.2012 zu unterstützen. Wir, der Berliner Vorstand, hatten eigens einen Topf mit Mitteln frei gemacht, um externe Wahlkampf-Unterstützung aus Berlin in anderen Bundesländern zu fördern.
Am BPT Unterstützungstand der Schleswig-Holsteiner erhalte ich die Adresse eines Piraten, dem ich in der kommenden Woche in seinem Wahlkreis helfen kann. Ich quartiere mich also abends in Kiel ein. In der folgenden Woche fahren wir in den Heimatbezirk des Hauptkonkurrenten Kubicki, mit unserem Infostand, und machen Straßenwahlkampf. Er wäre sonst ganz allein gewesen. (Am Ende werden die Piraten in diesem Wahlkreis nahezu das gleiche Wahlergebnis erzielen wie Kubicki. Ein voller Erfolg.)

Während eines der vielen Telefonate der Woche mit unserem amtierenden Schatzmeister teilt dieser mir seine Einschätzung mit, dass es in Berlin brenne und dass ich die SH Reise abbrechen solle. Über Mailinglisten und andere digitale Kommunikationskanäle hatte ich verfolgen können, dass der innerparteilich aufgebaute Widerstand gegen den Vorsitzenden hase, durch Rücktrittsempfehlungen und -forderungen einzelner Mitglieder in den vergangenen Wochen forciert, wächst. Höhepunkt ist das jüngste Gerücht, der Vorsitzende hase werde die nächste Vorstandssitzung am kommenden Sonntag nicht als Vorsitzender verlassen. Die Nachricht überrascht mich nicht, die Kampfansage nehme ich durchaus ernst.

Was bedeutet das für mich? Hase soll also demontiert werden? Es scheint eine Handvoll Piraten zu geben, die dieses Ziel hartnäckig verfolgt. Man würde nun denken, dass ein kraftvoller Vorsitzender solchen Intrigen gewachsen sei. Ja, sicher. Aber so wie sich die Dinge entwickelt hatten, war hase zu dem Zeitpunkt alles andere als kraftvoll. Die Querelen um seine ungeschickten Auftritte in der Öffentlichkeit, die damit verbundene durchaus auch gerechtfertigte Kritik, hatten ihn schwach gemacht. Es ging ihm nicht gut, und er hatte sich zurückgezogen wie ein verletztes Tier.

Ich frage mich also: Soll ich die Wahlkampfreise abbrechen? Kann meine Anwesenheit bei der Vorstandssitzung die Umsetzung solcher Intrige verhindern? Da ich die Hauptakteure des Intrigenspiels kenne, komme ich zu dem Schluss, dass auch ich mich nicht kraftvoll genug fühle, um das angekündigte Drama im Rahmen einer Sitzung gegebenenfalls verhindern zu können. Und was, wenn Presse zu der öffentlichen Sitzung erscheint?
In der darauf folgenden Woche stehen Landtagswahlen in NRW an, und so entwickelt sich im Telefongespräch mit hase die Idee, die Vorstandssitzung auf nach der Wahl zu verschieben. 2000 nordrhein-westfälische Piraten hatten sich seit zwei Monaten den Arsch aufgerissen, um aus dem Stand einen Wahlkampf zu gestalten, mit dem keiner gerechnet hatte. War es angesichts dieser Tatsachen nicht unfair, mit einem eventuell zu erwartenden "Berliner Skandal" Piratennachrichten zu generieren, die zwar relativ normal für die Berliner sind, den NRWlern aber als medialer Stock zwischen den Beinen vorkommen müssten? Hase und ich kommen zu dem Ergebnis, dass wir den Skandal vielleicht nicht verhindern können, ihn aber wenigstens auf der Zeitschiene auf nach der Landtagswahl verschieben können. Den NRWlern zuliebe.

Hase hatte zum Zeitpunkt unserer Gespräche bereits die Stadt verlassen, um den verbalen Angriffen zu entfliehen und sich davon zu erholen. Und so fällt er in einem Telefonat die Entscheidung, die anstehende Vorstandssitzung auf nach dem 13.05.2012 zu verschieben. Laut Satzung ist es Aufgabe des Vorsitzenden und seiner Stellvertreterin, zu Sitzungen einzuladen bzw. auszuladen.

Ich teile dem Schatzmeister hases Entscheidung mit. Seine Reaktion darauf scheint mir bemerkenswert. Er ist ganz anderer Ansicht und will die Sitzung unbedingt durchziehen. Er sagt, er habe mit allen Beteiligten gesprochen und sie hätten ihm versprochen, ruhig zu sein. Es gäbe das wichtige Thema Klarnamensliquid, das unbedingt besprochen werden müsse. Er sagt, er habe die Lage im Griff. Ich frage ihn, ob er zu 100% sicher stellen könne, dass die Situation nicht eskaliere. Natürlich könne er das nicht, niemand könnte das, aber die Wahrscheinlichkeit ist so hoch, dass er unbedingt für die Durchführung der Sitzung ist. Er wolle sie auch leiten, und so dafür sorgen, dass alles gut geht. Da es unmöglich ist, zu garantieren, dass es nicht doch einen "Berliner Skandal" gäbe, plädiere ich nachdrücklich für die Verschiebung der Sitzung, etwaigen Skandal inklusive. Wir beenden die Diskussion ohne Ergebnis. Das Gesprächsklima hatte sich unangenehm verschärft.

Als ich später am Tag einen der beiden Beisitzer wegen der Angelegenheit anrufe, stelle ich fest, dass drei von fünf Mitgliedern vom Vorstand gerade in einem inoffiziellen Vorstands-Treffen zusammen sitzen. Der Vorsitzende sowie auch ich waren davon nicht informiert bzw. eingeladen worden.
Angesprochen auf das "Skandal-Potenzial" erwidert einer der Beisitzer, dass so ein Skandal einen Wahl-Verlust von maximal 2-3 Prozentpunkte bedeuten könne, aber wir Piraten seien ja eben nicht prozentegeil, sondern authentisch. Es ginge nicht, dass ich den Mitgliedern den Zusammenhang der Terminänderung nur halb erklärte. Wenn ich Teile bei der Begründung wegließe, so wie ich es vorhatte, sei das wie eine Lüge, und man sei nicht bereit, diese Lüge, die ich vorhätte, mitzutragen. Ganz authentisch wolle man sein. Und Ehrlich. In diesem Moment werde ich von ihnen zur Lügnerin gestempelt. Das trifft mich, auch wenn ich ahne, dass sie im Unrecht sind.
Auch er besteht auf die Durchführung der Sitzung an diesem Sonntag. Später teilen die drei mir per SMS mit, sie hätten eine Entscheidung getroffen: die Vorstandssitzung wird abgehalten, und da sie mit 3:2 eine Mehrheit bildeten, müssten wir uns dem fügen.
(angenommen es hätte tatsächlich 2% von 7,8% verhindert, hätte das für NRW 5,8% bedeutet. Dann müsste der twitter account statt 20Piraten vielleicht 14Piraten heißen. Oder in Wirklichkeit müsste es dann vielleicht
14Piraten17Fraktionsmitarbeiter* statt 20Piraten25Fraktionsmitarbeiter* heißen. Oder nee warte,
14Piraten17Fraktionsmitarbeiter*14persönlicheMitarbeiter* statt 20Piraten25Fraktionsmitarbeiter*20persönlicheMitarbeiter* die die anfallende Arbeit erledigen können. Man weiß es nicht.)

Ich stecke in einem Dilemma. In meinem ganz persönlichen ethisch-moralischen Dilemma. Einerseits der Vorsitzende, der womöglich abgesägt werden soll, und der seine Verfassung derzeit selbst als so instabil empfindet, dass er wie ich die Möglichkeit eines provozierten Skandals für durchaus realistisch einschätzt, und sich dem im Hinblick auf NRW jetzt nicht aussetzen will. Andererseits die drei anderen Vorstandsmitglieder, die die Vorstandssitzung dreistimmig keinesfalls verschieben wollen, koste es was es müsse.

Ich entscheide mich. Auf  Bitte von hase sage ich per email an die Ankündigungsliste die anberaumte Vorstandssitzung ab. Um eine zeitliche Perspektive mitzugeben, lade ich nach Absprache mit hase zu dem nächstmöglichen Termin nach der NRW Wahl ein.

Zapp. Seitdem herrscht eisiges Klima im Vorstand. Das Kamerateam vom zdf erscheint am Tag der abgesagten Vorstandssitzung in der P9 mit dem Piraten, den es schon seit einer Weile für eine Dokumentation begleitet. Hase wird zwei Wochen später zurücktreten. Meinem Gefühl nach hatte sich eine Vorstands-Dreierallianz durch viele Telefonate und Treffen in der Zeit meiner Abwesenheit zusammengefunden. Ich fühle von nun an eine Spaltung innerhalb des Vorstands. Das Gefühl legt sich auch nicht, als mir der Schatzmeister eröffnet, dass er nun anstrebt Vorsitzender zu sein. Er formuliert den Vorwurf, ich sei eine Top-Down Person. Wir versuchen, die Situation durch Mediation wieder in Griff zu bekommen. Leider ohne Erfolg. Von nun an agiert er so, als sei er zuständig für alles; die Vorstandsarbeit fordert viel Einsatz und Zeit, nun ist sie auch noch gespickt mit einem erklärten internen Machtkampf.

Ich will meine Arbeit tun. Dabei werde ich von nun an mit kleinen virtuellen Tritten in die Kniekehlen begleitet, wo immer es geht, von einem Parteimitglied, innerhalb des Vorstands und aus dem Abgeordnetenhaus heraus. Menschen kündigen mir die Bekanntschaft, ohne eine Silbe davon hören zu wollen, wie meine Wahrnehmung der Ereignisse aussieht und warum ich die Entscheidung damals so getroffen habe. Ab diesem Zeitpunkt werde ich öffentlich angegriffen und lächerlich gemacht, so wie hase vorher, meist verdeckt, ohne mention, subtil. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich erleben kann, wie es sich anfühlt, gemobbt zu werden.

Von nun an werde ich still und stiller. Ich verzichte auf eine öffentliche Gegendarstellung, des Amtes wegen. Ich äußere mich nur noch sehr zurückhaltend, wenn ich keine andere Möglichkeit sehe, um mich gegen die subtilen Angriffe der kleinen Handvoll aktiver Gegner zu wehren, weil ich unnötige Unruhen vermeiden möchte. 

Als es darum geht, den Vorstandsvorsitz nach hases Rücktritt zu besetzen, wird der Versuch unternommen, einen der beiden Beisitzer dazu zu ernennnen. Natürlich geht das gegen die Satzung und wird abgelehnt. Dennoch sitzt die Botschaft, die mir mein Vorstandskollege damit sendet.

Ich bin froh, dass es so viele Parteimitglieder gibt, die sich in dieser Zeit für mich und für die Partei einsetzen. So schaffe ich es, die Zeit bis zur vorgezogenen Neuwahl im September durchzuziehen.

Als ich für den Stellvertreter kandidierte, wurde mir die Frage gestellt, ob ich mir zutraue, im Falle eines Rücktritts den Vorsitz zu übernehmen. Ich hatte damals mit Ja geantwortet. Dazu stehe ich heut noch. Mehr denn je.
Hätte man mich gefragt, ob ich mir zutraue, im Falle eines Rücktritts den Vorsitz zu übernehmen und mit Machtkämpfen innerhalb des Vorstands zurechtzukommen, hätte ich Nein gesagt. Nicht, weil ich es nicht kann, sondern weil ich es nicht will. Es widerspricht meiner Vorstellung von gemeinsamer Arbeit für eine gemeinsame Sache und es ist unglaublich mehr anstrengend als die Vorstandsarbeit ohnehin schon ist. Machtkämpfe finde ich unwürdig. In diesem Fall habe ich mich ihnen für die Sache gestellt.

Aber es hat sich nachhaltig auf meine Verfassung niedergeschlagen. Ich darf nach den vier erlebten Monaten mitteilen, dass es stimmt, was man so liest: gemobbt zu werden zermürbt. Mobbing ist eine fiese Methode, um jemanden zu schwächen. Auch wenn man sich vormacht, man stünde darüber. Mir jedenfalls ist es so ergangen. Und deshalb habe ich nicht wieder kandidiert. Am Ende habe ich zwar damit den Mobberinnen und Mobbern den Raum gegeben, den sie wollten, aber tatsächlich geht meine Liebe zur politischen Arbeit nicht so weit, dass ich in Kauf nehme, dabei unglücklich zu werden. Ich habe nur dieses eine Leben, und ich will sinnvoll mit meiner Kraft umgehen. Mobbing und sinnlose Machtkämpfe gehören dabei nicht zu meiner Agenda.

Als ganz besonders interessant hat sich für mich dabei die Rolle der schweigenden Masse gezeigt. Die Personengruppe, die die Dinge zwar mitansieht, sich aber nicht gefordert sieht, Stellung zu beziehen und sich zu äußern. Darüber werde ich einen eigenen Blogpost machen. Demnächst.

Nun komme ich zu den Fragen, die sich mir seither stellen:
Hätte ich nach Berlin fahren sollen, das Risiko eingehen und die Sitzung als stellvertretende Vorsitzende unter Vorsitz von hase durchziehen sollen? Hätte ich die demokratische Entscheidung von einer Mehrheit von 3:2 Personen, die nie offiziell gefällt wurde, da sie in keiner satzungskonformen Vorstandssitzung getroffen wurde, respektieren sollen?
Wie kann es kommen, dass eine Handvoll Leute, denen es nicht passt, dass ich, und nicht jemand anders an meiner Position ist, so viel Macht hat, eine Stimmung des Misstrauens und der Ablehnung zu sähen?
Wenn ich als Vorsitzende die Partei auch in den Medien repräsentiere, ist mir zu recht vorzuwerfen, dass ich das tue? 
Hätte ich mich eher offen an Alle wenden sollen?
Oder hätte ich härter sein sollen? (Glücklicherweise waren starke Männer um mich, die das an meiner statt sein konnten.)
Warum habe ich nicht geredet und bin stattdessen stumm und unsicher geworden?
Und last but not least: Welche Rolle spielte es für mich, dass ich eine Frau bin? Und spielte es überhaupt eine Rolle für die anderen?

Langsam bin ich wieder erholt. Noch immer lese ich selten mails, habe wieder angefangen zu kochen, Akkordeon zu spielen und zu reiten, war schon fünfmal wieder in der Natur. Mein Kind freut sich. Meine Jobs auch. Und auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, erstmal gar keine Piratenarbeit zu machen, ist mir das nicht gelungen. Es macht Spaß, es ist sinnvoll und darauf werde ich sicher nicht verzichten. Manchmal frage ich mich, an welchem Punkt ich die Blockade wieder treffe, die sich mir auf so unangenehme Weise in meiner Vorstandszeit gezeigt hatte. Eins kann ich sagen: diesmal werde ich mich nicht beugen. Stille ist keine Option mehr.

Danke an die Piraten die mir vertrauen.

Mittwoch, 14. März 2012

Stellvertretend für alle

50 Minuten sind wohl vergangen, seit wir vorne Platz genommen hatten, auf Stühlen und auf Sofas. Alle hatten sich vorgestellt. Eine nach dem anderen. Fragen beantwortet, reihum.
Nun strömt das bunte Kandidaten-Potpourri in die Halle, zu den anderen, und harrt der Dinge. Schlangen bilden sich an den Urnen, Stimmzettel werden gefaltet versenkt, im Hintergrund läuft ein lustiges Musikstück.

Ich setze mich zu Hagen. Er hatte mich vor der Vorstellungsrunde nochmal getuned, mich dazu gebracht, meine Ideen über meine Vorstellung dreimal laut aufzusagen. Das übliche Lampenfieber ging daraufhin fast gegen Null. Wir waren vor 13 Jahren Kollegen, und hatten uns jüngst bei den Piraten wieder getroffen. Die Vertrautheit tut mir gut. Einzelgängerin zu sein, ist nicht nur schön.

Nun schauen wir gemeinsam twitter. Mein Kopf ist leer, so viele neue Eindrücke. Vor 350 Menschen hatte ich noch nie geredet. Jetzt sitze ich einfach da. Als das Ergebnis verkündet wird, bekomme ich es nichtmal mit. Erst als Hagen mir auf die Schulter klopft, von allen Seiten Blicke auf mir landen und Hände entgegen gestreckt werden, ziehe ich daraus den Schluss, dass ich gewählt bin. Ich werde umarmt und erwidere freundschaftliche Gesten. Das Gefühl der Erkenntnis folgt dem Geschehen allerdings nicht unmittelbar. Als ich die Treppe hinauf auf die Bühne steige, ahne ich nur, was soeben passiert ist. Die Mehrheit der akkreditierten Mitglieder hat mich zur Stellvertretenden Vorsitzenden der Piratenpartei Deutschland Berlin gewählt. Ich nehme die Wahl an.

An die nächsten 10 Minuten kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwer macht ein Foto von mir. Ich wundere mich. Die gesamte Presse ist nach dem Presseauflauf um den neu gewählten Vorsitzenden von der Bildfläche verschwunden. Keiner mehr da. Daraus schließe ich, dass die Rolle, in die ich gerade gewählt wurde, für die Öffentlichkeit unwesentlich ist. Diese Erkenntnis erstaunt mich. Ich höre die Presse stets davon reden, dass die Piraten zu wenig Frauen hätten, dass Frauen unterrepräsentiert sind, und dass dies als Mangel interpretiert wird. Hier ist nun eine Frau in die Spitze der Partei gewählt worden, aber die Einzigen, die es nicht interessiert, ist die Presse. Die Presse will die Frauen gar nicht an der Spitze sehen? Es stellt sich das erste Mal das Gefühl von manipulativer Berichterstattung ein.

In der folgenden Woche formieren wir uns als Vorstand, mindestens 40% weiblich sozialisiert, mit Baby. Die Presse interessiert es nicht. Sie stürzen sich auf den Vorsitzenden, als ob er der Führer der Partei sei, und dieser spielt seine Rolle vortrefflich. Mich befremdet das. Als wir zu dritt beim Pressefrühstück auftreten, zu dem wir geladen hatten, wird es klarer.
Einer der Reporter wirkt deutlich genervt, wenn ein weiblich sozialisierter Vorstandsvertreter ungefragt das Wort erhebt. Ungefragt deshalb, weil niemand fragt. Auch die Berliner Journalistin wird gegen seine Dominanz der Gesprächsführung kaum zu Wort kommen. Ich beobachte das Ganze still. Ziehe meine Schlüsse. Was hier abgeht, ist eine Posse.

Dinge werden sich ändern. Denn dazu sind wir angetreten, liebe Öffentlichkeit. Mit uns dürft Ihr in Zukunft rechnen. Und zwar zu mehr als 40%.

P.S.: Die Antwort von hase, unserem ersten Vorsitzenden, die er am gleichen Tag noch postete, als dieser Artikel erschien, hat mich sehr gefreut :)